Viele Eltern sind verunsichert und stehen unter Druck:
Durch das Leistungsdenken in unserer Gesellschaft wird ihnen vermittelt, dass sie ihre Kinder von Anfang an optimal fördern und erziehen müssen. Aber Entwicklung braucht Zeit und Raum und jedes Kind kommt auf die Welt mit dem Wunsch, sich und seine Fähigkeiten zu entfalten.
In den ersten Jahren brauchen Kinder keine spezielle Förderung. Sie brauchen die Möglichkeit zu spielen, sich und die Welt zu entdecken und sie brauchen Bezugspersonen, die sich ihnen immer wieder mit ganzem Herzen zuwenden.
Die komplexe Welt überfordert Kinder: Je kleiner sie sind, je kleiner sollten die Entscheidungsspielräume sein. Eltern, die ihre Elternrolle einnehmen und klare Strukturen, Regeln und Rituale geben dem Kind Halt und Freiraum. Das Kind darf Kind sein und muss nicht ständig Entscheidungen treffen. Dennoch ist es auch für das kleine Kind schon wichtig, dass seine Autonomie geachtet wird: es weiß selbst am besten, wann es satt ist, wann es bei seinen liebsten Bezugspersonen Nähe auftanken oder lieber spielen will.
Mein besonderes Augenmerk liegt auf der Entwicklung der emotionalen Kompetenz. Der Umgang mit den eigenen Gefühlen und denen des Gegenübers ist die wichtigste Grundlage der Beziehungsfähigkeit. Kinder durchleben viele, teils sehr heftige Emotionen und Eltern können sie dabei unterstützen, aber sie können die emotionalen Probleme ihrer Kinder nicht lösen.
Oft fällt es Eltern sehr schwer, ein paar Minuten bei den Gefühlen ihres Kindes zu bleiben, es auszuhalten, dass das Kind sich gerade schlecht fühlt, dass es sauer ist, sich etwas anderes gewünscht hat, als gerade möglich ist. Eltern sind geneigt, schnellen Trost zu spenden und nach Lösungen zu suchen. Dabei braucht das Kind meist „nur“ unsere Präsenz und unsere Empathie. Kinder – wie wir Erwachsenen auch – brauchen Gegenüber, die bereit sind mitzufühlen. Wenn Kinder in ihren Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen gesehen und gehört und verstanden wurden, können sie ein Nein viel leichter akzeptieren.
Kinder wollen kooperieren. Durch Strafen wenden Kinder sich ab, werden trotzig und frech oder ziehen sich zurück. Auch Gleichgültigkeit („laissez-faire“) zerstört auf Dauer die Beziehung: das Kind fühlt sich allein gelassen und es kann sein, dass es den Freiraum als Desinteresse interpretiert.
Eltern sind gefordert, achtsame und klare Kommunikation zu lernen und sich selbst als Menschen mit Ecken und Kanten einzubringen. Auch Eltern haben Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse. An den Eltern lernen Kinder, was Beziehung bedeutet: nicht einer macht ständig etwas für den anderen, sondern beide bringen sich ein, interessieren sich für den anderen, genießen die gemeinsame Zeit, sind ehrlich zueinander, nehmen Rücksicht aufeinander und stehen sich bei.
Durch Verwöhnung (Überhäufung, Überfürsorge, Überbehütung, Überbewertung) wird das Kind geschwächt. Seine intrinsische Motivation verkümmert und es erwartet die Lösung seiner Probleme von außen kommend. Es lernt nicht, Frustrationen auszuhalten und kann später in Gefahr geraten, an den Schwierigkeiten des Lebens zu zerbrechen. Verwöhnten Kindern entgeht der Stolz, selbst etwas zu schaffen und etwas durchzuhalten. Kein Kind braucht Dauerentertainment oder All-Inklusive-Service. Aber alle Kinder brauchen immer wieder die intensive und authentische Zuwendung ihrer Bezugspersonen. Kinder wollen wahr- und angenommen werden in ihren Eigenheiten, ihren Wünschen und Gefühlen – was keinesfalls bedeutet, dass allem entsprochen und alles erfüllt werden muss.
Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Vermittlung des klaren Neins und des vollen Jas. Kinder können mit ambivalenten Aussagen (ja aber, eigentlich jetzt nicht, vielleicht doch) nicht gut umgehen: Auf Unklarheiten reagieren sie mit Quengelei und hartnäckigem Insistieren. Ein eindeutiges Nein ist mit dem Erleben von Frust verbunden. Das Kind wird auf sich zurückgeworfen und muss sich von der Erwartung lösen, dass die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse immer von außen kommt. Durch das Erleben von verkraftbarem Frust wird es Strategien entwickeln, sich selbst helfen und trösten zu können: ein wichtiger Schritt in die Selbstständigkeit.
Mit dem vollen Ja ist die intensive Zuwendung gemeint bzw. das freudvolle Zusammensein, das vom Kind und vom Erwachsenen gleichermaßen genossen wird. Nur der gegenseitig befriedigende Kontakt sättigt. Kein Kind braucht bespielt zu werden. Halbherzige Zuwendung fördern Unzufriedenheit und ein „Nimmersatt-Verhalten“ beim Kind.
Das kleine Kind kann aufgrund seines noch nicht ausreichend entwickelten Gehirns mit logischen Begründungen und ausführlichen Erklärungen nicht viel anfangen. Es braucht je nach Situation klare einfache Ansagen, einfühlsame Reaktionen oder einfach nur ein deutliches „Nein“. Größere Kinder und Jugendliche dagegen sind intellektuell ganz anders ansprechbar. Entsprechend sind mehr Diskussionen notwendig und sinnvoll. Allerdings nicht in jeder Alltagssituation aufs Neue! Die Regeln, die die Hausaufgaben, den Medienkonsum und die Mithilfe im Haushalt betreffen, sind ausführlich zu diskutieren und gemeinsam – einschließlich der Konsequenzen bei Nichteinhaltung – für einen gewissen Zeitraum festzulegen. Anschließend werden sie nicht in jeder Alltagssituation neu diskutiert.
Wichtiger als perfektes Elternverhalten sind die gute Beziehung zum Kind und das eigene Vorbild.
Wenn die gute Beziehung in der Pubertät zu kippen droht, wird es für Eltern wichtig, sich und ihr Verhalten zu hinterfragen. Jugendliche wenden sich ab, wenn sie sich unverstanden oder allein gelassen fühlen und sind dann oft kaum mehr erreichbar. Sie orientieren sich ggf. nur noch an Gleichaltrigen oder suchen sich andere Bezugspersonen.
Je glaubwürdiger Eltern ihre eigenen Werte leben, je authentischer sie ihr eigenes Leben gestalten, desto inspirierender können sie auf Jugendliche wirken und somit starke Vorbildfunktion ausüben. Jugendliche suchen in dieser unüberschaubar gewordenen Welt nach Orientierung und es ist wichtig, dass Eltern mit ihnen im Austausch bleiben. Auch wenn es anstrengend ist!
In der Pubertät geht es zunehmend darum, den Kindern die Verantwortung für ihr Leben zu übertragen. Das bedeutet für Eltern, schrittweise zurückzutreten. Die Haltung: „Ich begleite dich auf deinem Weg, ohne diesen bestimmen zu wollen“ ist leicht gesagt, aber schwer umzusetzen. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Kinder die Verantwortung für sich und ihr Leben tatsächlich übernehmen können. An dieser inneren Haltung – verbunden mit dem vertrauensvollen Blick aufs Kind – können Eltern täglich arbeiten.
Worte allein reichen keinesfalls aus.